Der Mensch im Mittelpunkt
Interview mit Prof. Dr. Max Mühlhäuser
12.06.2024 von Astrid Ludwig
Professor Max Mühlhäuser gehört zu den Pionieren auf dem Forschungsgebiet Ubiquitous-Computing, der Rechnerallgegenwart und Vernetzung der Systeme. In der UC-Forschung in Europa hat der Professor am Fachbereich Informatik Maßstäbe gesetzt. Fast 25 Jahre hat der Informatiker an der TU Darmstadt gelehrt und geforscht. Demnächst geht er in Pension, aber angesichts einer rasanten Entwicklung bei Künstlicher Intelligenz, Erweiterten Realitäten, Datenmissbrauch oder Bedrohung durch Cyber-Attacken will er sich auch weiterhin in der Forschung engagieren.
Was wäre wohl gewesen, wenn Max Mühlhäuser damals seiner ersten Passion nachgegangen wäre? Nach dem Abitur in Pforzheim war der heute 67-Jährige unentschlossen. „Tatsächlich habe ich überlegt, Musik und Klavier zu studieren“, erzählt er. Vielleicht wäre aus ihm also ein erfolgreicher Konzert-Pianist oder Musiklehrer geworden? Zum Glück gab es da aber dieses grottenschlechte Buch über die Informatik, das sein Vater ihm schenkte, weil sich der Sohn Mitte der 1970er Jahre für die gerade erst aufkeimende Disziplin interessierte. „Dieses Buch hat mich so geärgert, dass ich es danach genau wissen wollte“, erinnert sich Max Mühlhäuser schmunzelnd.
Einer der ersten Forscher auf dem Gebiet des Hypertextes und der Vernetzung von Informationen
Informatik in den Anfangsjahren bestand aus Lochkarten und Computern, die so groß waren wie Schränke und tagelang berechneten, wofür heutige Systeme Sekunden brauchen. In fünf Jahrzehnten hat der TU-Professor als Wissenschaftler seither alle Fortschritte seines Forschungsgebietes hautnah miterlebt und teilweise mitentwickelt und geprägt. „Ich habe angefangen, als das Internet mühsam entstand“, sagt er. Mühlhäuser war einer der ersten Forscher, die auf dem Gebiet des Hypertextes und der Vernetzung von Informationen arbeitete. Seine Forschung in den 1980ern fand unter anderem Eingang in neuartige Systeme für computergestütztes Lernen, noch bevor am CERN in Genf die Grundlagen für das World Wide Web und HTML gelegt wurden.
Nach Studium und Promotion an der Universität Karlsruhe (heute KIT) hatte Max Mühlhäuser 1986 das „Campus based Engineering Center“ (CEC) in Karlsruhe gegründet, das erste europäische Forschungszentrum des zu der Zeit zweitgrößten Computerherstellers DEC. „Das war damals eine Goldgräberstimmung, eine tolle Zeit“, erinnert er sich gerne. Die Welt der Informatik war noch klein, gute Ideen wurden aufgegriffen und setzten sich durch.“ Drei Jahre später etabliert er in Karlsruhe das TECO, das Telecooperation Office, wo er als junger Wissenschaftler bereits Maßstäbe auf dem Gebiet der Ubiquitous-Computing-Forschung in Europa setzte.
Neuronen, die sich zu einem Gehirn zusammensetzen und zu einer Explosion der Fähigkeiten führen
Ubiquitous-Computing oder UC „ist ein ziemlich sperriger Begriff“, findet Mühlhäuser. Gemeint ist damit die Allgegenwart vielfältiger Computer in unserem Leben. Schon Ende der 80er/Anfang der 90er Jahre hatten Pioniere wie etwa der US-Amerikaner Mark Weiser die Vision, den einzelnen Computer gegen eine Vielzahl von Rechnern einzutauschen, die die Menschen unmerklich in ihrem Alltag unterstützen. Mit der zunehmenden Verbreitung sollte also das weitgehende Verschwinden der Computer aus dem Bewusstsein verbunden sein. Diese Vision, so Mühlhäuser, ist im Begriff „Internet der Dinge“ nicht ausreichend berücksichtigt. Der TU-Professor vergleicht die Vernetzung der Systeme mit „Neuronen, die sich zu einem Gehirn zusammensetzen und zu einer Explosion der Fähigkeiten führen“. Vermutlich war es gerade das, was ihn so fasziniert hat. Für ihn als Forscher spielte jedoch von Beginn an die Interaktion mit den Menschen eine wichtige Rolle. „Bei vernetzten Systemen kommen für mich sofort die Nutzer und Nutzerinnen ins Spiel und somit auch ihr Schutz in einer digitalisierten Welt.“
Dieses Interesse führte ihn 2000 als Professor an die TU Darmstadt und den Fachbereich Informatik, wo er seither das Telecooperation Lab leitet und an einer intelligenten und sicheren Ubiquitous-Computing-Umgebung mit Mensch-zentriertem Ansatz forscht. Das heißt, Mühlhäuser und sein Team befassen sich mit vernetzten Systemen, der Mensch-Computer-Interaktion, dem Bereich Schutz und Sicherheit und angewandter KI. Die intensive Beschäftigung mit dem Thema Sicherheit und Schutz der Privatheit führte ihn zunächst auch ins Direktorium von CASED, dem früheren LOEWE-Zentrum für IT-Sicherheitsforschung und Entwicklung, und anschließend als Bereichsleiter in das Nachfolgeprojekt, das Nationale Forschungszentrum für angewandte Cybersicherheit ATHENE.
Fokus auf vertrauenswürdigen Systemen und Mechanismen
In einer sich rasant wandelnden digitalen Welt und auch geopolitischen Ordnung liegt ein Fokus von Mühlhäusers Arbeit auf vertrauenswürdigen Systemen und Mechanismen. Angesichts Cyber-Attacken, dem zunehmenden Verlust an Souveränität/Autonomie oder Kontrolle bei Nutzenden, Datenklau und immer neuen Manipulationsmöglichkeiten gewinnen Schutz- und Resilienzforschung für ihn einen immer wichtigeren Status. „Die Welt ist unsicher und disruptiv geworden aufgrund von Krisen und Katastrophen durch Klimawandel, geopolitischen Spannungen und hybrider Kriegsführung, Destabilisierung von Demokratien, Miss- und Desinformation – darauf sind wir und auch die Informatik nicht ausreichend vorbereitet“, warnt er. Es sollte mehr als bisher in den Schutz etwa der Infrastrukturen investiert und daran geforscht werden, rät der TU-Professor. Es müsse stärker dezentralisierte Ansätze und Insellösungen geben, geringere statt wachsende gegenseitige Abhängigkeiten, einen Plan B bei Schäden und Katastrophen – für Strom, Heizung, Nahrungsmittel, Finanzen und vieles mehr. „Das wird uns in den nächsten Jahren sehr beschäftigen“, ist er sicher.
Entschlossen für die demokratische Gesellschaft kämpfen
Die riesigen Potenziale der Künstlichen Intelligenz werden in der Forschung seines Fachbereichs intensiv genutzt. Er sieht aber die Gefahr, dass KI den Kreis vom ausgespähten, durchleuchteten Menschen zum manipulierten Menschen perfekt schließen kann. Im Netz seien abertausende Chatbots unterwegs, die versuchten zu manipulieren, zu radikalisieren oder falsch zu informieren. Auch Deep Fakes würden immer potenter für den Versuch, die demokratische Gesellschaft zu destabilisieren. „Als Forschende müssen wir noch entschlossener dagegen kämpfen“, mahnt Prof. Max Mühlhäuser.
Ein Klima der Freiheit und Wertschätzung für junge Forschende
Gibt es Erfolge, auf die er in seiner langen Karriere besonders stolz ist? Der gebürtige Pforzheimer gibt sich bescheiden. „Die Forschungserfolge haben wir immer im Team oder in der Gruppe geleistet“, betont er. Worauf er allerdings stolz ist, „ist der Umgang mit Menschen“. Rund 80 Doktoranden und Doktorandinnen hat er zur Promotion geführt, rund 30 junge Wissenschaftler sogar zum Professorentitel. „Mit vielen bin ich noch in gutem Kontakt. Das freut mich sehr.“ Das Arbeitsklima in seinem Fachgebiet war für ihn immer von großer Bedeutung: „Es herrscht ein Geist der Freiheit und Wertschätzung und ein Klima für junge Forschende, in dem sie sich entfalten können.“
Seine Dienstzeit endet mit dem Sommersemester. „Ganz werde ich jedoch nicht aufhören“, betont er. Der TU-Professor denkt vielmehr an ein ausschleichendes als ein abruptes Ende. Spezielle Forschungsaufgaben will er auch weiterhin wahrnehmen. Als künftiger Großvater freut er sich allerdings auf mehr Raum für die Familie und auf sein Klavier. An das Gefühl, plötzlich mehr Zeit zu haben, muss er sich allerdings erst noch gewöhnen, räumt er ein.
Kurzbiografie
Professuren
- 2000 bis 2024 Ordentlicher Professor TU Darmstadt,
Fachgebiet Telekooperation - 1995–1999 Ordentlicher Professor Universität Linz
- 1992–1994 Professor (C3) Universität Karlsruhe
- 1989–1992 Professor (C3) Universität Kaiserslautern
Ausbildung
- 1986 Promotion Universität Karlsruhe, Highest Distinction (summa cum laude)
Ausgewählte Rollen
- Dekan von 2016-2018 und 2002-2004
- Pro-Dekan von 2014-2016 und 2001-2002
- Sprecher DFG Graduiertenkolleg Privacy and Trust since 2015
- Stellvertretender Sprecher und später PI des Sonderforschungsbereichs MAKI
- PI am Nationalen Forschungszentrums für angewandte Cybersicherheit ATHENE
- Co-Director of CASED LOEWE-Center for Advanced Security Research CASED (2008 – 2016)
Ausgewählte Ehrungen und Auszeichnungen
- Member, acatech German Academy of Tech. Sciences (since 2016)
- Adjunct Professor, Queensland Univ. of Technology
- IBM UIMA Award
- European Multimedia Award
- Director of Honor, CEC Karlsruhe
- Member, German National Academic Foundation
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