Mehr Digitale Souveränität durch maßgeschneiderte Mikroprozessoren

Andreas Koch entwickelt anwendungsspezifische Edge-Prozessoren für Zukunftsbranchen im Verbundprojekt ZuSE-Scale4Edge

04.08.2020 von

Sie werden gebraucht, wenn wir die Waschmaschine anstellen, ein selbstfahrendes Auto steuern lassen oder Maschinendaten in der Industrie 4.0 auswerten wollen: Edge-Prozessoren. Eingebettet in andere Maschinen interagieren sie selbstständig mit ihrer Umwelt und ziehen schon vor Ort Rückschlüsse aus Sensorsignalen. Je besser sie an ihre Aufgabe angepasst sind, umso schneller und energiesparender können sie arbeiten. Diese Vorteile bezahlen Hersteller derzeit aber mit langen Entwicklungszeiten und hohen Kosten. Durch lange Lieferketten entstehen zudem Sicherheitsrisiken. Informatikprofessor Andreas Koch erforscht zusammen mit seinem Team am Fachgebiet „Eingebettete Systeme und ihre Anwendungen“ (ESA) , wie maßgeschneiderte und vertrauenswürdige Prozessoren automatisiert erstellt werden können.

Prof. Andreas Koch ermöglicht durch Entwurfsautomatisierung bessere, schnellere und preiswertere Prozessoren.

„Im Allgemeinen ist die Entwicklung neuer Mikroprozessoren ein komplexer und auch teurer Prozess. Aus diesem Grund werden für viele Anwendungen massengefertigte Chips von wenigen großen Herstellern eingesetzt. Diese können die hohen Einmalkosten des Chip-Entwurfs und der Halbleiterfertigung dann über große Stückzahlen amortisieren“, erklärt Koch.

Verbundprojekt ZuSE-Scale4Edge gestartet

Um diese Abhängigkeit zu verhindern, fördert das Bundesministerium für Bildung und Forschung seit Mai 2020 das Forschungsprojekt ZuSE-Scale4Edge: In dem Projekt wollen die TU Darmstadt und 16 weitere Verbundpartner aus Wirtschaft und Forschung durch ein Plattform-Ökosystem den Aufwand für den Entwurf von maßgeschneiderten Prozessoren deutlich reduzieren. Sie fokussieren sich dabei auf sogenannte Edge-Szenarien. Also den Einsatz von Rechnern an der „Kante“ zwischen der Anwendung „vor Ort“ für zeitkritische Operationen und der Nutzung von Ressourcen einer entfernten Cloud. Solche Edge-Szenarien sind typisch für viele industriell wichtige Anwendungsszenarien, z.B. die Steuerung von Maschinen oder im Automobilbereich. Koordiniert wird das Projekt vom Halbleiterhersteller Infineon Technologies AG.

Zu diesem Ökosystem trägt das Fachgebiet „Eingebettete Systeme und ihre Anwendungen“ neuartige Technologie bei, mit der das „Maßschneidern“ der Prozessoren deutlich vereinfacht wird. Anwendungsexperten sollen zukünftig die speziell für ihren Bereich nützlichen Erweiterungen des Prozessors abstrakt beschreiben können. Diese relativ leicht zu erlernenden abstrakten Beschreibungen werden dann durch am Fachgebiet entwickelte Entwurfsautomatisierungswerkzeuge (electronic design automation) selbstständig in spezialisierte Prozessorbefehle übersetzt. Anschließend werden die für die Ausführung der neuen Befehle nötigen Silizium-Schaltungen automatisch generiert und in den Basisprozessor integriert.

Digitale Souveränität ermöglichen

„Momentan sind die meisten Elektronikhersteller noch von Standardchips abhängig, die in der Regel in Asien produziert werden. Für die Zukunft ist es wichtig, dass Deutschland anschlussfähige Elektronikkompetenzen aufbaut – Stichwort Digitale Souveränität“, erklärt Andreas Koch.

Im Fokus stehen dabei zum einen die Nachvollziehbarkeit der Funktionalitäten sowie die Versorgungssicherheit. Idealerweise können industrielle oder akademische Endanwender zukünftig selbst die Funktionalitäten der Chips genau auf ihre speziellen Anforderungen zuschneiden – und auch auf diese beschränken. Die dadurch verringerte Komplexität minimiert auch das Risiko, dass nicht benötigte Features als Einfallstor für Angriffe dienen. Denn Mikroprozessoren sind immer öfter entscheidende Bestandteile auch von kritischen Infrastrukturen, wie z.B. Kommunikationsnetzen oder der Energieversorgung.

Die Vertrauenswürdigkeit von maßgeschneiderten elektronische Bauteilen „Made in Germany“ wäre nicht der einzige Vorteil für die deutsche Wirtschaft: „Viele Produkte funktionieren wesentlich besser, wenn die zugrundeliegende Technik exakt an die Anforderungen des jeweiligen Einsatzfeldes angepasst werden kann. Im Fall von Mikroprozessoren kann dies eine höhere Rechenleistung bei gleichem oder niedrigerem Energieverbrauch ermöglichen. Zusätzlich kann der Prozessor neuartige Funktionen bekommen, die in den Chips „von der Stange“ nicht enthalten sind. Dadurch ist eine höhere Wertschöpfung realisierbar“, sagt Koch.

Das Scale4Edge Plattform-Ökosystem basiert auf der lizenzfreien, offenen RISC-V-Befehlssatzarchitektur.

Anwendungsgebietsspezifische Rechnerarchitekturen (domain specific architectures, DSA) sind ein schon lange bekannter Ansatz, um die Leistung und Effizienz von Standardlösungen zu übertreffen. In der Vergangenheit waren aber „maßgeschneiderte Prozessoren“, die eine Spielart von DSAs darstellen, nur mit hohem Aufwand realisierbar.

Wissenschaftler um Krste Asanovic und Dave Patterson an der Universität Berkeley hatten 2010 für ihre eigenen Forschungen im Prozessorbereich nach einem Befehlssatz gesucht, der frei von industriellen Einschränkungen (Patenten, Lizenzvereinbarungen etc.) verwendet werden darf und auch leicht anwendungsspezifisch erweitert werden kann. Da sie damals nichts Geeignetes fanden, definierten sie nach intensiver Arbeit einen eigenen Vorschlag für einen offenen Befehlssatz, nämlich RISC-V. Zusammen mit der technischen Ausgereiftheit führte diese Offenheit des RISC-V Befehlssatzes schnell zu einer Verbreitung auch außerhalb der akademischen Forschung.

Mittlerweile hat die Dachorganisation, die die Weiterentwicklung von RISC-V mit tatkräftiger Unterstützung des ursprünglichen Berkeley-Teams koordiniert, mehr als 500 akademische und industrielle Mitglieder, zu denen neben Tech-Firmen wie z.B. Google, NVIDIA, Samsung und Siemens auch viele Top-Universitäten weltweit zählen. Die TU Darmstadt ist seit 2018 Mitglied und nutzt die Technologie bereits in einer Reihe von Forschungsprojekten, z.B. zu IT-Sicherheit und verbesserten Programmierwerkzeugen.

Dieses Ökosystem rund um RISC-V bildet eine wesentliche Erfolgsgrundlage für die Forschungsarbeiten im Projekt Scale4Edge. Das Projekt kann unmittelbar auf den bestehenden offen verfügbaren Vorarbeiten zu RISC-V aufbauen und kann seine eigenen Forschungsergebnisse in den nächsten drei Jahren sowohl auf akademischer als auch industrieller Ebene wieder in das Ökosystem rückkoppeln.