„Die SMS der damaligen Zeit waren umschlaglose Papp-Postkarten“

50 Jahre Fachbereich: Interview mit unserem Alumnus Professor Dr. Georg Rainer Hofmann

23.02.2022

Während unseres Jubiläumsjahres stellen wir einige aktuelle und ehemalige Mitglieder unseres Fachbereichs vor. Den Auftakt macht Dr. Georg Rainer Hofmann, der 1982 sein Studium der Informatik an der TH Darmstadt begann und heute als Professor für Datenverarbeitung und Unternehmensführung an der TH Aschaffenburg wirkt. Im Interview nimmt er uns mit in das Informatikstudium der 1980er – damals noch ohne eigenen Computer – und erzählt von handschriftlich entworfenen Programmtexten, seinem ersten Projekt in der 3D-Computergraphik sowie von wissenschaftlichen wie auch persönlichen Zu- und Glücksfällen.

Professor Dr. Georg Rainer Hofmann studierte und promovierte am Fachbereich Informatik.

Fachbereich Informatik: Herr Hofmann, Ihre erste Wahl in Sachen Studiengang war zunächst Physik. Wie kamen sie nach dem Abitur 1982 schließlich doch zur Informatik und an die damalige TH Darmstadt?

Professor Hofmann: Das Abitur war im Frühjahr 1981. Dann kam erstmal mein Zivildienst, in einem Kindergarten, bevor im Herbst 1982 das Studium in Darmstadt beginnen konnte. Auch in der ersten Hälfte der 1980er-Jahre hatte ein Abiturient den Wunsch, ein Studium zu beginnen, welches Aussichten auf eine einigermaßen zukunftsfähige und einträgliche berufliche Tätigkeit mit sich brachte. Nicht nur meine Überlegungen gingen in Richtung Physik. Der bevorstehende Ausbau der Nutzung der Atomenergie und eine Tätigkeit in einem der neuen Kraftwerke erschienen sehr lukrativ zu sein. Aus reiner Bequemlichkeit kam für mich nach der Schulzeit nur der naheliegende Studienort Darmstadt in Frage. So konnte ich weiterhin zu Hause im Odenwald wohnen bleiben und täglich mit dem PKW hin und her pendeln.

An der TH Darmstadt erschien damals nicht nur ein Studium der Physik, sondern auch anderer technischer Fächer ganz attraktiv zu sein. Ich war mir alles andere als gewiss, was zu tun wäre. Im Herbst des Jahres 1982 trat ich schließlich ein Studium – ausgerechnet – der Informatik an. Ein Onkel arbeitete bei der Deutschen Lufthansa und meinte: »Computer sind die Zukunft!« Vielleicht gab das den Ausschlag. Im Jahr 1982 war das Fach Informatik an der THD noch ein absoluter »second choice«. Sie erschien als ein gerade noch brauchbarer Kompromiss aus akademischem Anspruch, praktischer Umsetzbarkeit und ökonomischer Relevanz. Mit dem Studium der Informatik verband ich – für meinen Teil – damals keine besonderen Erwartungen. Ich habe sowohl das Studienfach Informatik als auch den Studienort Darmstadt aus absolut niederen Beweggründen gewählt. Es war sowohl ein weichenstellender Zu- als auch Glücksfall.

Fachbereich Informatik: Die meisten unserer Studierenden heute sind wahrscheinlich mit einem eigenen Laptop ausgestattet und können auch sonst auf eine gute digitale Infrastruktur zurückgreifen. Wie war das im Informatikstudium Anfang / Mitte der 1980er Jahre?

Professor Hofmann: Damals war die akademische Informatik – nicht nur an der THD – von Personen geprägt, die irgendetwas anderes studiert hatten, und dann in der aufkommenden Informatik als Quereinsteiger auftraten. Auch die meisten Informatik-Professoren an der THD waren noch keine echten Informatiker. Studierte Elektrotechniker waren für die Praktische Informatik zuständig, die Theoretische Informatik wurde von Mathematikern vertreten. Informationstechnologie wurde damals von (vor allem männlichen) Experten für (hauptsächlich männliche) Nutzer gemacht. Der Frauenanteil in der Informatik-Professorenschaft an der THD lag bei exakt null Prozent.

Im Informatik-Grundstudium der Jahre 1982 bis 1984 hatte in aller Regel keinen eigenen PC zur Verfügung. Ein Computer, den man sich eventuell leisten konnte, war seit dem Ende der 1970er-Jahre in der Form von programmierbaren Taschenrechnern verfügbar. Solche Geräte kosteten einige Hundert D-Mark, das konnten sich Studierende durchaus leisten.

Im Grundstudium an der TH Darmstadt wurden Programmieraufgaben am Großrechner des Rechenzentrums des Fachbereichs Informatik durchgeführt. Es gab eine Anlage aus der Serie SIEMENS 7.500 mit dem Betriebssystem BS2000, die für uns Studenten im Batchbetrieb lief. Der Rechner stand in einem eigenen großen und klimatisierten Raum – und er war für Studierende nicht direkt zugänglich. Wir mussten unsere handschriftlich entworfenen Programmtexte mit einem Lochkartenstanzer in Lochkartenstapel umwandeln. Der Stapel, der »Batch«, wurde dann an ein Lesegerät abgegeben, – und das war es dann, in aller Regel, für diesen Tag. Der Rechner las das Lochkarten-Programm ein und führte es irgendwann aus. Das Ergebnis war ein Ausdruck auf grünlich-gräulichem Recycling-Endlospapier, den das Programm produziert hatte und der auf einem superlauten Trommeldrucker ausgedruckt wurde. Dieser Ausdruck konnte durchaus erst über Nacht erscheinen und dann am nächsten Tag an einer Art Ausgabetheke abgeholt werden. Machte man in der Übung einen Fehler, dann kostete ein neuer Versuch wieder einen ganzen Tag.

Man kann sich den Entwicklungszustand der Informationsgesellschaft um das Jahr 1982 klarmachen, wenn man bedenkt, was es damals alles noch nicht gab und wie Studierende damit zurechtkamen. Es gab keine Mobiltelefone, zum Telefonieren musste man entweder zu Hause sein – oder aber einen öffentlichen Telefonzellen-Münzfernsprecher benutzen. Die Telefone in den Büros der THD waren für Studierende tabu. Die SMS der damaligen Zeit waren umschlaglose Papp-Postkarten, die man mit bereits aufgedruckter Briefmarke im Postamt kaufen konnte. Kurze Texte ließen sich auch mithilfe von Fernschreibern »Telex« national – und auch international – elektronisch in Echtzeit verschicken.

Es gab noch keinerlei elektronische Kommunikation zwischen den Hochschullehrern der Informatik und den Studierenden. Übungsaufgaben wurden als kopierte Übungsblätter im Anschluss an die Vorlesungen ausgeteilt. Sie wurden zum Teil in Live-Tutorials von Studenten der höheren Semester betreut. Musterlösungen dazu gab es als Papier-Aushänge in den spezifischen »Schaukästen« in den Gängen der Institute – zum Ansehen oder manuellen Abschreiben vor Ort. Studien-Skripte und Materialien konnte man im Institut des Professors als Kopiervorlage ausleihen oder aber als Buch, das der Professor verfasst hatte, im Handel kaufen. Studierende erhielten einen kleinen Rabatt, wenn sie per vom Professor ausgestellten »Hörerschein« im Buchhandel nachweisen konnten, dass sie die zum Buch passende Vorlesung besuchten.

Selbst in der Informatik war die notwendige Literatur damals nur in Papierform verfügbar. Studierende konnten sie in der »Hessischen Landes- und Hochschulbibliothek Darmstadt« ausleihen. Der Zugriff auf wissenschaftliche Arbeiten war ein ultra-langsamer Vorgang, der pro Zugriff einige Tage Zeit kostete. Manche Bücher waren ständig anderweitig ausgeliehen und standen damit faktisch nicht zur Verfügung. Zeitschriften waren oft gar nicht ausleihbar, sondern wurden nur in den Lesesaal der Hochschulbibliothek ausgegeben. Da saß man dann stundenlang und schrieb zu zitierende relevante Textstellen per Hand ab. Die einzige Alternative zur Handschrift war die mechanische Schreibmaschine. In der Stadt gab es Schreibbüros, die die handschriftlichen Vorlagen der Abschlussarbeiten und Dissertationen der THD-Absolventen mit Schreibmaschinen abtippten und in einen ordentlichen Schriftsatz brachten. Für Vervielfältigungen existierten aber schon Xerographie-Kopierer. Das waren riesige Apparate, man konnte sie per Münzeinwurf in Betrieb nehmen. Sie standen an zentraler Stelle in der Nähe der großen Hörsäle. Kopien waren teuer, – der Preis von einer D-Mark pro Seite war nicht ganz unüblich.

Das »health management«, eine »Gerechte Sprache« und die »political correctness« waren für die Studierenden noch nicht erfunden. In der Mensa waren alkoholische Getränke absolut üblich, und geraucht wurde dort auch. Zigaretten wurden von Werbeleuten in kleinen Dreier-Päckchen am Eingang der Mensa an die Studierenden verschenkt – zum Probieren. Das krasseste technische Lifestyle-Feature des damaligen modernen Lebens war der »Sony Walkman«, mit dem man unterwegs Tonbandkassetten hören konnte.

In der ersten Hälfte der 1980er-Jahre gab es noch lange nicht das, was später als »Social Network« oder als »Messenger Service« bekannt werden sollte. Daher war die Kommunikation in der Studentenschaft noch sehr viel mehr als in den 2010er-Jahren, oder gar zu Beginn der 2020er-Jahre, auf persönlicher Präsenz basierend. Dauernd war irgendwo ein »Happening« oder ein »Event« fällig. Angekündigt werden konnte das damals nur per Plakataushang oder über das Verteilen von Handzetteln, also nicht elektronisch. Die Mensa war in der Regel den ganzen Tag über sehr gut besucht, also nicht nur zur Nahrungsaufnahme. In der Mensa traf man sich als Peer-2-Peer-Lerngruppe zur Bearbeitung von Übungsaufgaben und Klausurvorbereitung. Man erklärte sich die Lehrgegenstände gegenseitig. Man kann ja durchaus zufrieden sein, wenn es gelingt, den Kommilitonen einen Sachverhalt zu erklären. Denn wenn man etwas erklären kann, dann müsste man es auch selbst verstanden haben.

Fachbereich Informatik: Im Anschluss an das Studium promovierten Sie bei Professor José Luis Encarnação am Lehrstuhl Graphisch-Interaktive Systeme. Was kann man sich zu der Zeit unter „Computergraphik“ vorstellen und was war Ihr Forschungsthema?

Professor Hofmann: José Luis Encarnação nannte sein Fachgebiet »Graphisch-interaktive Systeme« (GRIS). Man sagte auch »Computergraphik« dazu. Aber was sollte diese »Computergraphik« sein und was sollte daraus werden können? Ein GRIS, ein »Graphisch-interaktives System«, war damals ein Computer, der im Gegensatz zu den herkömmlichen Rechnern nicht nur Zeichen, als Buchstaben und Zahlen, verarbeiten und anzeigen konnte, sondern eben auch Graphiken. Darunter stellte man sich zunächst quasi »Strichzeichnungen«, also Vektorbilder vor. Die konnten zum Beispiel mit einer vom GRIS-Computer angesteuerten Zeichenmaschine, einem »Plotter«, als eine technische Zeichnung berechnet und ausgegeben werden. Man konnte sich auch vorstellen, dass man irgendwann diskrete »digitale Rasterbilder« in einem Computer würde speichern und verarbeiten können. Das war aber zunächst noch eher utopisch, denn für viele hundert oder tausende Bildpunkte – »Pixel« – eines Rasterbildes hatte man einfach noch nicht den erforderlichen Speicherplatz zur Verfügung.

Man entschied sich seitens der Stadt Darmstadt, für den Sommer des Jahres 1986 eine große Ausstellung und ein interdisziplinäres Symposium zum Thema »Symmetrie« auf die Beine zu stellen. Dem wissenschaftlichen Sekretär der Ausstellung, Guerino Mazzola ging es damals um Raffaels Fresko »La scuola di Atene – Die Schule von Athen«. Die im Fresko dargestellte Szene sollte als ein dreidimensionales Modell im Computer realisiert werden. Es sollte für die Symmetrie-Ausstellung möglich sein, quasi »neue« Perspektiven und Ansichten der von Raffael dargestellten Szene zu berechnen und zu visualisieren, um so neue Erkenntnissen zur Struktur und Symmetrie des Freskos zu gewinnen. Das war mein erstes „Projekt“ in der 3D-Computergraphik; zu der Zeit war ich noch Studentische Hilfskraft bei GRIS.

Ein Merkmal der entwickelten Informationsgesellschaft ist die Ubiquität und Selbstverständlichkeit von digitalen Bildern. So gesehen stand das Raffael-Projekt am Anfang einer fabelhaften Entwicklung, nämlich der Popularisierung der Computergraphik und des Computergraphischen Realismus. Viele Jahre später wurde dann ein wichtiger Teil der von den Menschen wahrgenommenen Realität zu einem Rechenergebnis von Computern. Die traditionellen »Traumfabriken« der Film- und Fernsehindustrie reagierten mit Freude darauf – Computergraphik wurde zu einem großen Geschäft.

Gegen Ende der 1980er-Jahre wurden zunehmend Fragen angegangen, wie man dreidimensionale Szenen, die im Rechner in Form geometrischer Datenmodelle vorlagen, mittels der Computergraphik möglichst wirklichkeitsnah und fotorealistisch genau darstellen könnte. Nichts weniger als die »Realität schlechthin« sollte im Computer simuliert und auch am Bildschirm visualisiert werden können. Auch bei der Fraunhofer-AGD in Darmstadt widmete man sich diesen Forschungsthemen.

In der AGD-Abteilung von Detlef Krömker verfolgten wir ab 1988 die Idee, für die Berechnung von realistischen Computergraphiken phänomenologisch vorzugehen. Der Betrachter des Bildes und das, was dieser sehen wollte – oder sollte – wurde zum Maßstab der Überlegungen. In ersten Arbeiten und Publikationen untersuchten wir die Begriffe »Idealismus« und »Realismus« in der Computergraphik

Es sollten für die Berechnung von realistischen computergraphischen Bildern drei Aspekte berücksichtigt werden. Zum einen sollten die dargestellten Objekte nicht mehr als Volumina mathematisch ideal modelliert, sondern als Oberflächen modelliert werden. Die Daten der Oberflächen sollten Polygone sein, die nicht notwendigerweise plan sein müssten. Zum zweiten sollte die Struktur der Oberfläche, die Textur (etwa, ob Straßenbelag als Asphalt, Schotter oder Pflaster darzustellen sei), einfach in der Realität fotografiert werden. Das Foto sollte dann entsprechend digital verarbeitet auf die Polygon-Oberflächen per »Imaging« und »Photo Mapping« projiziert werden. Drittens sollte das vom klassischen Film her bekannte Kulissenschieben in der Computergraphik Anwendung finden.

Diese Darmstädter Verfahren zum computergraphischen Realismus erhielten eine gewisse internationale Aufmerksamkeit. Die Grundgedanken und algorithmischen Konzepte wurden von zwei Branchen aufgegriffen, an die wir bei der AGD gar nicht gedacht hatten. Sowohl die Computerspiele- als auch die Trickfilm-Leute interessierten sich sehr für die recheneffizienten Algorithmen, die wir vorgestellt hatten. Mich persönlich interessierten diese (!) beiden Anwendungen überhaupt nicht. Nichtsdestoweniger habe ich in den Folgejahren alle fachlichen Anfragen aus diesen Branchen – nach meinen Möglichkeiten – höflich und gewissenhaft beantwortet. Die damals entwickelten algorithmischen Grundprinzipien kamen in den Folgejahren als »Merging 2D and 3D Computer Animation« und »Mixed Reality« zu einiger Verbreitung und wirtschaftlicher Bedeutung.

Fachbereich Informatik: Einige Meilensteine der Digitalgeschichte der 1980er und 1990er Jahre haben Sie nicht nur live erlebt. Durch Ihre Arbeit an der TH Darmstadt und danach am Fraunhofer IGD konnten Sie auch selbst daran mitwirken. War Ihnen die Bedeutung der neuen Entwicklungen zu der Zeit schon klar? Was waren Ihre persönlichen Highlights?

Professor Hofmann: In der Tat habe ich viele Entwicklungen der Informationsgesellschaft selbst erleben und zum Teil auch daran mitwirken dürfen. Meine Erinnerungen umfassen mittlerweile circa 40 Jahre voller richtungsweisender Erkenntnis- und Technikfortschritte. Für die Entstehung der – nun normalen – Digitalen Welt waren und sind oft in beinahe schon skurriler Weise sowohl Zufälle als auch Glücksfälle mitverantwortlich.

Das beharrliche Verfolgen großer Ideen durch engagierte Persönlichkeiten, wie in Darmstadt José Luis Encarnação, spielte immer wieder eine nicht unwesentliche Rolle hierbei. Viele der Personen waren sich der – gegenwärtigen oder künftigen – Bedeutung ihrer Erkenntnisse und Arbeiten damals gar nicht so recht bewusst.

Einzelne Highlights wäre viele zu nennen, wie die Entwicklung der vernetzten Multimedia-Computer sehen – eine Folge der Computergraphik, die Entwicklung der Internationalen Multimedia-Datenformate, wie .jpg und .mpg, auch das Entstehen des WWW, und die legendäre dritte WWW-Konferenz im Jahr 1995 in Darmstadt.

In den 50 Jahren der »Informatik« zeigt sich eine eigentümliche Dialektik. Einerseits stellen sie in historischer Perspektive eine sehr kurze Zeitspanne dar, andererseits dauerten diese Jahre sehr viel länger an als andere historische »Sternstunden der Menschheit« – in der Diktion Stefan Zweigs. Einige der Entwicklungen der Informationsgesellschaft sind blanker Zufall gewesen. Es hätte auch ganz anders kommen und weitergehen können. Dieser Wandel kam ganz allmählich, aber doch fundamental und eigenartig plötzlich. Ein nicht geringer Anteil der Dinge, die wir täglich benutzen, wurde in nur wenigen Jahrzehnten erfunden oder ist in dieser Zeit wesentlich weiterentwickelt worden.

Technische Entwicklungen wurden in Bezug auf ihr künftiges Potenzial manchmal völlig falsch eingeschätzt. Einige wurden unterschätzt, und man hat noch viele Jahre gebraucht, um eine Erfindung wirklich sinnvoll zu nutzen. Andere wurden hingegen überschätzt, man glaubte Zeichen einer neuen Zeit vor sich zu haben. Diese überschätzten Erfindungen verschwanden aber bald wieder aus der allgemeinen Aufmerksamkeit, weil ihr Nutzwert halt doch nicht so hoch war.

Fachbereich Informatik: Was wünschen Sie dem Fachbereich Informatik zum 50-jährigen Bestehen?

Professor Hofmann: In der Rückschau fällt das fast »niedlich« zu nennende Arbeits- und Prozess-Tempo in den 1980er-Jahren auf. Man hatte an einem normalen Arbeitstag eine um Längen geringere Ereignis- und Termindichte zu bewältigen als dies viele Jahre später der Fall war. Das Telefon war das einzige Echtzeit-Medium, die Briefpost hatte eine Reaktionszeit von einigen Tagen. Das Telefax war noch nicht alltäglich und überall in Gebrauch. Drängte ein Kooperationspartner auf eine versprochene Zuarbeit, so konnte man ihn am Telefon vertrösten, das sei schon in der Post. Und man hatte noch den ganzen Tag Zeit, es wirklich zu erledigen und zur Post zu geben.

In nur wenigen Jahren progressiver Digitalisierung ist aus der globalen Wirtschaft eine »Digitale Internet-Wirtschaft« geworden. Die großen Rechenzentren des Internets, wie das CE-CIX in Frankfurt am Main, sind zu den systemrelevantesten Unternehmen unserer Wirtschaft geworden. Es ist ja schon spannend, wenn man etwa bei der Deutschen Bahn oder bei der Lufthansa streikt. Es ist aber kein Vergleich zu dem, was passieren würde, wenn die großen Rechenzentren und damit »das Netz« komplett ausfielen. Es ginge kein Telefon mehr, Rundfunk wäre ebenfalls nicht mehr verfügbar. Man wüsste nicht einmal, was passiert sein könnte. Es gäbe kein Medium, über das man es erfahren könnte.

Dem Darmstädter Fachbereich ist zu wünschen, dass er sich seiner Geschichte und seiner heutigen technischen, aber auch sozialen und wirtschaftlichen Bedeutung (selbst-) bewusst ist – und (auch) in der Zukunft danach zu handeln versteht.

Die Gestaltung des digitalen Wandels bringt – wenig überraschend – noch offene Fragen mit sich. Den Rückblick auf die Jahre des Werdens unserer so alltäglichen und ganz selbstverständlich gewordenen Informationsgesellschaft möchte ich mit dem Appell verbinden, dass wir in der Neuen Digitalen Welt keinesfalls die bewährten Orientierungspunkte der individuellen Freiheit, der sozialen Gerechtigkeit und vor allem der Mitmenschlichkeit gegen die in Aussicht gestellten Nutzwerte der Digitalen Systeme eintauschen.


Die Fragen stellte Daniela Fleckenstein.

Über Professor Dr. Georg Rainer Hofmann

Georg Rainer Hofmann studierte an der damaligen TH Darmstadt Informatik mit den Nebenfächern Volkswirtschaftslehre und Philosophie. Im Anschluss an seine Promotion am Fachbereich Informatik bei Professor José Luis Encarnação war er wissenschaftlicher Mitarbeiter und Abteilungsleiter am Fraunhofer-Institut für Graphische Datenverarbeitung in Darmstadt. Heute ist Hofmann Professor und Direktor des Information Management Instituts (IMI) an der Technischen Hochschule in Aschaffenburg. In seinem aktuellen Buch „GLOBALE PROVINZ: Entdeckung und Besiedlung der digitalen Welt 1980 bis 2020“ (Vergangenheitsverlag, Berlin, 2022) berichtet er auch von den Umständen der Studienzeit und dem damaligen Arbeiten an der TH Darmstadt.

50 Jahre Fachbereich Informatik

1972 wurde der Fachbereich Informatik an der damaligen TH Darmstadt gegründet. Das offizielle Gründungsdatum geht auf die erste Fachbereichskonferenz am 15. Mai 1972 zurück. Wie die Wissenschaft, der er gewidmet ist, ist auch der Fachbereich Informatik in den letzten 50 Jahren gewachsen und hat sich stark weiterentwickelt. Das Jubiläumsjahr 2022 nehmen wir zum Anlass, sowohl die Geschichte als auch die heutige Vielfalt unseres Fachbereichs zu beleuchten.

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