Kommunikation im Krisenfall

Digitale Litfaßsäulen sollen Information der Bevölkerung gewährleisten

19.10.2023 von

Ernst Litfaß würde daran Gefallen finden: Nicht nur stehen die von ihm Mitte des 19. Jahrhunderts erfundenen Werbesäulen weiterhin zahlreich in allen größeren Städten, sondern mutieren nun auch noch zu modernsten Multifunktionsanlagen, die weit mehr als schlichte Werbung in die Öffentlichkeit tragen. Die Litfaßsäule 4.0 soll künftig als digitale Kommunikationseinheit auch während eines großflächigen Stromausfalls mit Solarstrom autark betrieben werden können und wichtige Informationen an die Bevölkerung übermitteln.

Die umfassende Reichweite REICHWEITE von Litfaßsäulen wurde bei der Auftaktveranstaltung anhand eines dreidimensionalen Modells demonstriert.

Geforscht und gearbeitet wird daran im LOEWE-Zentrum „emergenCITY“ der TU Darmstadt. Die Wissenschaftler haben mit der STRÖER Media Deutschland GmbH – unter anderem Vermarkter von rund 25.000 Litfaßsäulen in Deutschland – den idealen Partner für das Projekt gefunden. Am Montag wurde der Kooperationsvertrag zur Entwicklung eines Prototyps der digitalen Litfaßsäule unterschrieben, verknüpft mit einer Vorstellung des Vorhabens.

„Wenn Digitales auf Krise trifft, sind wir nicht ausreichend vorbereitet“, schickte Professor Matthias Hollick, der wissenschaftliche Koordinator von emergenCITY, seinem Vortrag warnend voraus. Die Widerstandsfähigkeit der zunehmend digital vernetzten Infrastruktur in Extremsituationen ist daher zentrales Forschungsziel des LOEWE-Zentrums emergenCITY, einer interdisziplinären Kooperation der Partneruniversitäten Darmstadt, Kassel und Marburg, in die das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), die Stadt Darmstadt und das Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) als assoziierte Partner eingebunden sind.

Wenn Digitales auf Krise trifft, sind wir nicht ausreichend vorbereitet.

Das Konzept der Litfaßsäule 4.0 ist eine der aktuellen Antworten darauf, wie die Kommunikation zwischen Behörden und Bürgern im Ernstfall aufrechterhalten und somit die Resilienz digitaler Städte gestärkt werden kann. Matthias Hollick unterstrich, dass bei emergenCITY nicht im Elfenbeinturm, sondern zum Nutzen der Bevölkerung geforscht werde. Hollick sowie STRÖER-Geschäftsführer Hermann Meyersick und emergenCITY-Architekt Dr. Joachim Schulze hoben in ihren Vorträgen die zahlreichen Vorzüge von Litfaßsäulen als Kommunikationsmittel hervor. Einer davon ist die hohe Akzeptanz der Säulen als bekannter, integraler Bestandteil des Stadtbilds: „Man vertraut nur einer Informationsquelle, die man akzeptiert“, betonte Joachim Schulze, und nannte als Gegenbeispiel soziale Medien, denen im Zweifel eher misstraut werde.

Hinzu kommt die Lage an hochfrequentierten Orten, die Höhe der Säulen und ihre runde Form sowie die gleichmäßige Verteilung: In Darmstadt stehen beispielsweise rund 200 Litfaßsäulen. Ihre Reichweite und der fast lückenlose Informationsradius wurden bei der Veranstaltung an einem dreidimensionalen, per Computersteuerung illuminierten Modell der Innenstadt veranschaulicht.

Stabil und benötigt keine zusätzliche Infrastruktur

Zudem sind die Säulen stabil, bieten viel Platz und benötigen keine zusätzliche Infrastruktur. Für ihren Umbau zum autarken digitalen Medium soll die rund zwei Quadratmeter große Dachfläche genutzt werden, um Solarzellen und Kommunikationseinheit unterzubringen, ein Batteriespeicher kann im Inneren der Säule Platz finden. Ein digitales Laufband rund um den oberen Rand wird im Krisenfall dann wichtige Informationen in großer, leuchtender Schrift anzeigen. Hermann Meyersick wies darauf hin, dass auch eine Ergänzung durch akustische Warnungen mittels einer Lautsprechbox denkbar sei.

Etwa ein Jahr wird es dauern, bis der erste Prototyp der neuen Litfaßsäule fertig ist. Seine Präsentation ist im Rahmen der emergenCITY-Mission „Heinerblock“ gemeinsam mit der Stadt Darmstadt geplant. Die Heinerblocks sollen nach dem Willen der Darmstädter Stadtverordneten künftig als verkehrsberuhigte Quartiere für mehr Lebensqualität sorgen. Der Versuch wird von der TU wissenschaftlich begleitet.