Roboter „Argonaut“ tritt im internationalen Wettbewerbs-Finale in Frankreich an

Etappe 2: Auf schwieriger Mission

21.04.2017 von

Erschöpft aber glücklich – das Team am fünften Wettkampftag. Bild: Team Argonauts

Ein vom Fachbereich Informatik der TU Darmstadt entwickelter Roboter ist im Finale um den 500.000 Euro dotierten Preis der von dem Mineralölunternehmen TOTAL ausgerichteten internationalen ARGOS Challenge für intelligente Inspektionsroboter auf Öl- und Gasplattformen. Die Entwickler aus Darmstadt und ihre Kooperationspartner aus Wien um den Roboter namens Argonaut traten Mitte März gegen vier internationale Teams in Frankreich an.

Die rund eineinhalb Dutzend Mitarbeiter, Doktoranden und Studierende umfassende Entwicklergruppe schickte neun Informatikern des Fachgebiets SIM (Simulation, Systemoptimierung und Robotik) von der TU Darmstadt und drei Mitarbeiter der Wiener Roboterfirma taurob GmbH zusammen mit ihrem Roboter „Argonaut“, den sie nun schon seit zweieinhalb Jahren entwickeln, in die dritte und finale Runde der ARGOS Challenge (Autonomous Robot for Gas and Oil Sites). Der Kooperationspartner taurob GmbH kümmert sich hierbei vor allem um die Hardware und das Team von der TU Darmstadt um die Steuerungssoftware des Roboters.

Das Mineralölunternehmen TOTAL hat dazu aufgerufen, einen autonomen mobilen Ferninspektionsroboter zu entwickeln, der ein Areal auf einer mehrstöckigen Öl- und Gasplattform befahren und überprüfen kann, um das Risiko von potentiell gefährlichen Situationen für Plattformmitarbeiter künftig zu senken. Vom 13. bis zum 17. März mussten die Argonauts, die in der Vorrunde der ARGOS Challenge 2016 bereits den zweiten Platz erzielen konnten, erneut beweisen, dass sie und ihr „Argonaut“ es mit der starken internationalen Konkurrenz aus Japan, Frankreich, Spanien und der Schweiz aufnehmen können.

Das fünftägige Finale im französischen Pau nahe der Pyrenäen treten die Argonauts optimistisch aber auch mit großer Anspannung an, denn die bevorstehenden Aufgaben sind durchweg komplex. Vor jeder Mission erhalten die Teams Aufgaben, die ihr Roboter teils autonom sowie teils teleoperiert zu bewerkstelligen hat. Unerwartete Hindernisse und diverse ungeplante Komplikationen, die auf einer realen Plattform auftreten könnten, werden von der Jury nicht angekündigt.

Die hohen Anforderungen an das autonome Robotersystem ermöglichen viele Fehlerquellen. Während der Roboter auf seiner Inspektionsrunde selbstständig Druckmessgeräte, Füllstandsanzeigen und Ventilstellungen mit Hilfe seiner Kameras und weiterer High-Tech-Sensoren überprüft, muss er dabei auch Anomalien, Wärmequellen, Gasaustritte, Pumpendefekte sowie einen allgemeinen Plattformalarm erkennen. Hierbei muss er auf alle möglichen Ereignisse geeignet reagieren und diese dabei auch einem menschlichen Operator übermitteln, der die Mission aus der Ferne überwacht. Dieser soll jederzeit eingreifen und die Fernsteuerung bei Bedarf manuell übernehmen können, hat dazu jedoch nur die Daten zur Verfügung, welcher der Roboter selber an die Leitstelle schickt. Anbei muss der Roboter die Mission wieder autonom fortführen und beenden können.

Der intelligente Inspektionsroboter: Bild: Natalie Wocko

Schwieriger Start

In den vier Tagen direkt vor Wettbewerbsbeginn bekam jedes Team Gelegenheit, täglich rund eineinhalb Stunden auf der Anlage zu testen. Die Inbetriebnahme der Kommunikationsinfrastruktur und deren Anpassung an die speziellen Netzwerkanforderungen auf der Industrieanlage stellte das Team bereits am ersten Testtag vor unerwartete erhebliche Schwierigkeiten, so dass für die Sicherheitsfreigabe vorgeschriebene Tests nicht erfolgreich abgeschlossen werden konnten. Dementsprechend angespannt arbeitete das Team in der Garage und in den Hotelzimmern bis in die Nacht an der Analyse und Behebung der aufgetretenen Schwierigkeiten. Ab dem zweiten Tag konnte dann endlich mit den ersten Tests begonnen werden, die trotz des am dritten Tag eintretenden Regenwetters zunehmend besser verliefen. Die dabei jeden Tag gemachten neuen Erfahrungen und aufgenommenen Daten wurden kontinuierlich analysiert und zu gezielten Fehlerkorrekturen und Verbesserungen genutzt.

Schlechtes Wetter in Frankreich? Kein Problem!

Gleich am ersten Wettbewerbstag setzen die Wetterbedingungen mit starkem Regen den Teams zu. Während das japanische Team die ersten Aufgaben fürchtet, da ihr Roboter noch nicht wasserfest ist, sind die Argonauts gut vorbereitet. Sie haben bereits im Vorfeld in Darmstadt etliche Trainingsrunden bei realem und simuliertem Regen auf dem Außengelände des Fachbereichs Informatik mit einer dafür eigens aufgebauten Industrietreppe hinter sich und können die Missionen des ersten Tages zu ihrer großen Freude und Erleichterung mit Bravour abschließen. Hier hatten selbst die härtesten Konkurrenten mit den widrigen Witterungsbedingungen Anlaufschwierigkeiten. Die im 95-seitigen Regelwerk geforderten, vielfältigen und hochkomplexen Roboterfähigkeiten stellen allerdings auch enorme Anforderungen auf, die weit über übliche Anwendungen teilautonomer Robotersysteme hinausgehen. Darüber hinaus müssen die Roboter auch unter den starken Belastungen unterschiedlichster Witterungsbedingunen robust operieren können, was insbesondere die High-Tech-Sensorik an ihre technischen Grenzen bringt. In dieser Hinsicht loten die an der ARGOS Challenge beteiligten Teams die Grenzen des Machbaren neu aus.

Eine besondere Herausforderung ist am zweiten Wettbewerbstag, der endlich besseres Wetter bringt, nicht nur das kiesige Außengelände, sondern auch eine außerordentlich lange hölzerne Rampe, die dem Roboter überraschend im Weg steht. „So eine Art von Hindernis haben wir nicht erwartet“, sagt Dr. Stefan Kohlbrecher von den Argonauts. Daher müssen die Entwickler während dieser Situation, in der ausgerechnet das selbstständige Agieren des Roboters unter Beweis gestellt werden soll, notgedrungen improvisieren und den Roboter kurzzeitig teleoperieren. Danach konnten sie den Roboter kurzfristig wieder in den autonomen Modus überführen und ihn die Inspektionsaufgaben über zwei Stockwerke der Anlage eigenständig beenden lassen. Das Team ist trotz unerwarteter Vorfälle mit dem erfolgreichen Abschluss der außerordentlich langen Mission noch innerhalb des vorgegebenen Zeitbudgets sehr zufrieden, bemerkt jedoch, dass „der Wettbewerb gerade erst begonnen hat.“

Die Komplexität der Aufgaben nimmt zu

In der Tat sehen sich die Argonauts am dritten Wettbewerbstag mit einer schwierigen Mission konfrontiert, denn die Jury legt es darauf an, die Detektions- und Reaktionsfähigkeit der Roboter mithilfe unerwarteter Ereignisse und Anomalien zu testen sowie mit verschiedenen Operationssituationen zu konfrontieren. In vielen Aufgaben ist der Argonaut zum Glück bereits geübt, schließlich hat das deutsch-österreichische Team in ihrem Labor an der TU Darmstadt ganz pragmatisch beispielsweise einen Toaster benutzt, um Wärmequellen zu simulieren.

Der Start der Mission wird zu einer unerwarteten weiteren Nervenzerreißprobe, als sich herausstellt, dass es aufgrund einer ungenauen Formulierung im Regelwerk ein erhebliches Missverständnis zwischen Jury und Team gibt. Das Team kann daher die Mission erst nach Unterbrechung starten, während eine schnelle Korrektur überlegt und programmiert werden musste. Dies gelingt zwar innerhalb weniger Minuten, allerdings tritt im weiteren Verlauf der Mission ein Softwareproblem zu Tage, das erheblich die Detektions- und Reaktionsfähigkeiten negativ beeinträchtigt. Nach kurzer Überlegung entscheidet sich das Team für das Risiko einer Wiederholung der gesamten Mission in der wenigen verbliebenen Restzeit. Dabei werden allerdings alle im ersten Versuch gewonnenen Punkte komplett annulliert und es zählt nur das Ergebnis des zweiten Versuchs. Die Freude am Ende ist jedoch riesengroß, als das hohe Risiko sich auszahlt, und der Roboter mit deutlich besseren Ergebnissen noch in den letzten Sekunden der verbleibenden Laufzeit die Mission abschließen kann. Dabei konnten mehrere Anomalien wie Hitzequellen, Gaslecks, verdrehte oder verdeckte Messanzeigen erfolgreich erkannt werden.

Bei realem Austritt explosiver Gase ist der Argonaut bereits betriebssicher, denn er ist der weltweit erste autonome Inspektionsroboter seiner Art mit TÜV-geprüfter ATEX-Zertifizierung. Er darf somit in hochexplosiver Atmosphäre zum Einsatz kommen, da seine Elektronik keine Zündgefahr darstellt. Diese Zertifizierung ist eine der wichtigsten Anforderungen der Jury an die zu entwickelnden Roboter. Gleichzeitig stellt dies jedoch hohe Anforderungen an die Robotik: die Qualität der Sensordaten von Kameras, Laserscanner und Mikrofonen werden durch die zusätzlichen Schutzgehäuse beeinträchtigt. Die dichte Einhausung des Roboters stellt auch besondere Anforderungen an das Management der Wärmeentwicklung durch Motoren und Computer im Inneren.

Die vorletzte Mission am vierten Wettbewerbstag war besonders umfangreich und evaluierte die Fähigkeiten und Robustheit des Roboters bezüglich unterschiedlicher Sensorik- und Mobilitätseigenschaften. Während der autonomen Inspektionstour wurden insbesondere die Transparenz beim Umschalten zwischen autonomer und teleoperierter Steuerung geprüft ebenso wie Reibungslosigkeit, Schnelligkeit, Sicherheit und Robustheit. Der Operator sitzt dabei, wie bei jeder Mission, in einer spezifischen Kabine ohne Sichtkontakt zu Roboter und Anlage. Seine Operatorstation ist ein PC mit Monitoren und unterschiedlichen Bedienelementen wie Maus, Tastatur und Gamepad, welche mit dem Roboter über eine spezielle drahtlose Funkverbindung kommuniziert. Diese Verbindung wurde zu Testzwecken von der Jury wiederholt stark beeinträchtigt oder sogar komplett abgeschaltet.

Aufregende Endmission

Bei der letzten und finalen Mission der ARGOS Challenge wird es noch einmal spannend, denn den teilnehmenden Teams wird lediglich mittgeteilt, dass der Roboter bei starken Beeinträchtigungen und in Notfallsituationen agieren muss. Getestet werden, unter anderem, die Detektions – und Reaktionsfähigkeiten bei unterschiedlichsten unerwarteten Hindernissen, wie Fässern, querliegenden Metallstangen und Löchern durch fehlende Bodenplatten. Dabei wird nicht nur die Funkverbindung zwischen Operatorstation und Roboter immer wieder stark eingeschränkt und zeitweise komplett unterbunden. Die in der Anlage vorhandene künstliche Beregnungsanlage zur Simulation von Starkregen wird auch mehrfach aktiviert. Aber wie heißt es so schön: „das Beste kommt zum Schluss“, denn auch diese Schwierigkeit meistert der Roboter mit Bravour und so wird der letzte Tag einer der erfolgreichsten für die „Argonauts“ und erfüllt das Team mit großer Freude und Stolz, aber auch großer Erleichterung, dass es von größeren Pannen verschont blieb.

Doch auch wenn das Team nach dieser Woche optimistisch und hoch zufrieden nach Hause fährt, müssen wir auf das endgültige Ergebnis noch gespannt warten, denn die Jury der ARGOS Challenge gibt die Gewinner erst am Abend des 11. Mai bei einer feierlichen Preisverleihung in Paris bekannt.

Unabhängig davon wie das Ergebnis ausfällt, wird es mit den Argonauts und ihrer Forschung weitergehen. Ein Roboter mit solchen komplexen Fähigkeiten kann auch in Zukunft in verschiedenen Bereichen, zum Beispiel in der Chemieindustrie oder bei der Menschenrettung, erfolgreich eingesetzt werden. Die Informatiker haben noch einiges mit ihrem vielseitigen Argonauten vor.

Weitere Informationen über die ARGOS Challenge finden Sie unter http://www.argos-challenge.com/en. Mehr über die Vorbereitungsphase und das Training gibt es auf der Facebookseite der „Argonauts“ und in einem Artikel des Fachbereichs Informatik.

Die Entwicklung des Argonaut-Robotersystems wurde durch Mittel von TOTAL, S.A., des BMBF im Rahmen von Eurostars (E!9448) und des Landes Hessens im LOEWE-Schwerpunkt NICER gefördert.

Der Argonaut in Aktion. Bild: Team Argonauts