Mensch lenkt Maschine

13.02.2017 von

Der Informatik-Student Karl-Heinz Fiebig wurde für seine Forschungsarbeit zu Transferlernen in Brain-Computer-Interfaces ausgezeichnet.

Beim Cybathlon bewältigen Menschen mit körperlicher Behinderung Aufgaben mithilfe neuartiger technischer Assistenzsysteme. Im vergangenen Jahr entwickelte der Informatik-Student Karl-Heinz Fiebig gemeinsam mit seinem Team für den Wettbewerb ein System, mit dem man Computern per Gedankenübertragung Befehle geben kann. Die Erfahrung motivierte ihn, diesem Thema seine Abschlussarbeit zu widmen. Nun wurde er mit dem IEEE Brain Initiative Best Paper Award ausgezeichnet.

Wenn der 28-jährige Student an die Preisverleihung zurückdenkt, muss er lachen: „Die Veranstaltung war ganz schön pompös, sie fand in einem 5-Sterne-Hotel statt und es gab sogar eine Pferdeshow." Das IEEE (Institute of Electrical and Electronics Engineers) ist der weltweit größte Verband von Ingenieurinnen und Ingenieuren aus den Gebieten der Informations- und Elektrotechnik. Der mit 2.500 US-Dollar dotierte Best Paper Award wurde im Oktober 2016 während der „International Conference on Systems, Man, and Cybernetics (SMC2016)“ in Budapest verliehen.

Die Kriterien des IEEE für den besten Artikel umfassen Originalität, Klarheit, Qualität und technische Leistung. Der Schwerpunkt des auf der Konferenz stattfindenden fünftägigen Workshops war die Gehirn-Computer-Schnittstelle (Brain-Computer-Interface, kurz BCI), ein neurotechnisches Anwendungsgebiet, das die Interaktion zwischen Mensch und Maschine ohne Einbindung körperlicher Funktionalitäten erforscht.

Fiebig, der seine Bachelorarbeit am Fachgebiet Intelligente Autonome Systeme bei Prof. Jan Peters und Dr.-Ing. Moritz Grosse-Wentrup sowie Vinay Jayaram vom Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme in Tübingen geschrieben hat, gewann die Auszeichnung für seinen Artikel über Transferlernen in Computer-Hirn-Schnittstellen.

Informatik-Student Karl-Heinz Fiebig. Bild: Jan Bambach

Cybathlon spornt zum Weiterforschen an

Erfahrung auf diesem Gebiet hat der Informatikstudent bereits während des im Oktober vergangenen Jahres erstmalig stattfindenden Cybathlon in Zürich gesammelt, bei dem Menschen mit schweren körperlichen Einschränkungen in verschiedenen Disziplinen gegeneinander antreten. Mit dem Athena-Minerva-Team des Fachgebiets Intelligente Autonome Systeme der TU Darmstadt und dem Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme in Tübingen hat Fiebig für die Disziplin Brain-Computer-Interface-Race (Hirn-Computer-Schnittstelle-Rennen) eine nicht-invasive Schnittstelle entwickelt. In dieser Disziplin müssen querschnittsgelähmte Teilnehmer während eines Computerspiels mittels Gedankenübertragung verschiedene Hindernisse überwinden. Das BCI misst mithilfe einer Elektroenzephalografie-Haube (EEG-Haube), die der Pilot während des Spiels über den Kopf zieht, seine Gehirnaktivität.

Die Haube ist mit 128 Elektroden verbunden und dient zur Messung der Hirnströme, um mit maschinellen Lernalgorithmen erkennbare Muster im Denkprozess des Spielers für die Lenkung seines Avatars abzuleiten und sie den passenden Gedanken – wie zum Beispiel springen, rennen oder ducken – zuzuordnen.

Beim Probelauf stieß das TU-Darmstadt-Team auf einige Hürden. Obwohl der Pilot die aufgenommenen Daten am Anfang des Parcours verwenden konnte, mussten erst neue Daten gesammelt werden, bevor dieser weiterspielen konnte, denn die Muster im Gehirn können sich aufgrund vieler unterschiedlicher Faktoren wie Umgebungsbedingungen, Störquellen oder der unterschiedlichen Tagesform des Probanden verändern.

„Diese Erfahrung hat mich damals extrem geärgert, weshalb ich beschloss, meine Bachelorarbeit über BCIs zu schreiben und einen Ansatz für die Reduzierung langwieriger Kalibrierungsphasen zu finden“, erinnert sich Fiebig. Denn diese Phasen – in der Forschung unter Sessions bekannt – stellen eine Herausforderung beim Arbeiten mit Brain-Computer-Interfaces dar: Um die EEG-Kappe benutzen zu können, müssen entsprechende Daten gesammelt werden, auf denen ein Lernalgorithmus trainieren kann. Diese Sessions zielen darauf ab, den aktuelle ‚Status‘ des Gehirns aufzunehmen, um die gesammelten Daten richtig auswerten zu können.

128 Elektroden dienen zur Messung von Hirnströmen. Bild: Jan Bambach

Kalibrierungsphasen verkürzen oder beseitigen

„Sehr komplex und ermüdend wird es im High-Density-Bereich – also dort, wo viele Elektroden eingesetzt werden “, erklärt Fiebig. „Da kann das Set-Up bis zu drei Stunden betragen, bevor eine dreißigminütige Datensammlung erfolgt, um endlich mit der eigentlichen Nutzung des BCIs beginnen zu können.“ Einer der Forschungsschwerpunkte in diesem Gebiet sei daher das Ziel, die Kalibrierungsphasen für das BCI-System zu verkürzen oder, im Idealfall, sogar vollständig zu beseitigen. Frei nach dem ‚Plug-and Play‘-Prinzip: Haube aufsetzen und loslegen. Deshalb hat Fiebig, nach Vorarbeit der Forschungsgruppe des Max-Planck-Instituts für Intelligente Systeme in Tübingen, einen statistischen Ansatz ausgearbeitet, um diese zeitaufwendigen Sessions zu reduzieren.

Die harte Arbeit hat sich für den Studenten gelohnt: Fiebig konnte nicht nur den bisherigen Forschungsstand optimieren, sondern setzte sich auch gegen vier weitere Finalisten während des fünftägigen IEEE-Workshops in Budapest durch und gewann den IEEE Brain Initiative Best Paper Award für seinen, auf seiner Bachelorarbeit basierenden, Artikel „Multi-Task Logistic Regression in Brain-Computer Interfaces“. Fiebig erklärt darin die erstmalige Herleitung eines bekannten Lernalgorithmus (Logistic Regression) in einem theoretischen Rahmen für Multi-Task Learning. Obwohl sich die Muster in den Hirnströmen ständig ändern, ist es mit diesem Algorithmus möglich, aus vergangenen oder gelernten Daten eine Wahrscheinlichkeitsverteilung abzuleiten und somit komplett ohne Kalibrierungsphase auszukommen. Eine große Errungenschaft dieses Ansatzes ist, dass dieser Lernalgorithmus das neugewonnene Wissen effektiv nutzen kann, um sich trotzdem weiter zu kalibrieren und in neuen Sitzungen stetig zu verbessern.

Langeweile kommt bei dem enthusiastischen Studenten nach der Preisverleihung nicht auf. Fiebig hat vor Kurzem seine Bachelorarbeit fertiggestellt und beginnt bald mit seinem Masterstudium der Allgemeinen Informatik an der TU. Zwei zukünftige Projekte des Athena-Minerva-Teams sind auch schon in Vorbereitung: die Entwicklung eines „BCI Online Gaming Frameworks“ – einer virtuellen Spielwiese – und das „Self-Calibrating Coadaptive BCI“, bei dem Mensch und Maschine lernen, autonom über Gedanken zu kommunizieren.

Dieser Forschungsschwerpunkt ist vor allem für Querschnittsgelähmte, Schlaganfallpatienten und Menschen mit eingeschränkten Kommunikationsmöglichkeiten (z.B. Locked-in-Patienten) von hoher Bedeutung. Fiebig hebt hervor, dass die hierbei entwickelten Methoden praktische Verwendung finden, weil die BCIs aus „Laborkonditionen herausgeholt und unter Realbedingungen getestet und ausgewertet werden“. Es klingt auf jeden Fall nach Material für den kommenden IEEE-Workshop, der dieses Jahr in Kanada stattfinden wird.